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ADS - Auf der Suche nach ... ?

Wir nennen ihn: Vincent. Er ist der Typ, der Lehrer und Eltern 'zum Wahnsinn treiben' kann, sehr sensibel und intelligent aber extrem unkontrolliert, ein 'Satansbraten' oder auch 'hyperaktiv' - in welche Schublade man immer ihn stecken möchte. Sein Bewegungsdrang ist schier atemberaubend und sein Aggressionspotential erschreckend hoch.
© Florian Vieth: Stehen wie ein Baum
Fast alles, was in unserer Unterrichtsgruppe gemacht wird, fordert ihm größte Mühe ab: Sprechen und Bewegen bewusst kontrollieren, Pausen zur Selbstwahrnehmung machen, den anderen Aufmerksamkeit entgegenbringen, aggressiven Impulsen nicht einfach nachzugeben, liebevoll miteinander Umgehen... Stille zulassen!

Seine und meine Geduld (und die der anderen Kinder) wird hart auf die Probe gestellt. Wochenlang. Monatelang. Man könnte meinen, er findet es schrecklich. Aber er kommt wieder. Jede Woche. Er kommt freiwillig, das weiß ich genau.

Er sucht. Er testet mich und das, was wir machen. Er weiß wohl nicht genau, was er sucht, aber er merkt: da ist etwas, weswegen er immer wieder kommen will. Und er bleibt. Und er beginnt neue Erfahrungen zu machen, er entwickelt sich, er lernt ganz neue Fähigkeiten an sich selbst kennen.

Es ist eine große Freude, ihn und sein Wachstum zu erleben!


Wir nennen sie Laura: sie ist zierlich, sehr still und schüchtern. Sie traut sich selber nicht viel zu. Deshalb probiert sie vieles nur mit halbem Herzen und gibt schnell auf. Sie fühlt sich schwach, deshalb ist sie ängstlich.

In der Gruppe erfährt sie das Recht auf den gleichen Raum, wie ihn z.B. Vincent einnimmt. Hier muss sie sich nicht 'klein' fühlen.

Während der Qigong-Übungen entdeckt sie, dass sie auch Vorteile hat mit ihren Wesenszügen. Sie hat es leichter sich zu konzentrieren und ganz schnell entwickelt sie eine Wahrnehmung für das Qi - ihre körpereigene Energie, fühlt das Dantian - die Kraft ihres Zentrums.

In den Tai Chi Partnerübungen entdeckt sie, dass sie keine Angst haben muss vor jemandem, der größer, stärker oder lauter ist: je mehr sie lernt sich zu 'erden', einen guten Kontakt in den Boden zu haben und in ihrer Mitte zu bleiben um so leichter kann sie große Kräfte ableiten, die auf sie zukommen.

Leuchtende Augen und rosa Wangen. Und bei der Weihnachtsfeier der Satz: 'Ich bin auch nicht mehr so ängstlich wie früher!' Das kann ich nur bestätigen.


Wir nennen ihn Chris. Er hat eine blitzschnelle Auffassungsgabe, ist gleichzeitig extrem unkonzentriert und emotional sprunghaft - Wutausbrüche, Tränen, Bockigsein im Minutenwechsel.

Sein eigener Leistungsanspruch ist sehr hoch, die Frustrationsschwelle, wenn etwas nicht sofort gelingt, ist sehr niedrig. Konzentriert dranbleiben, um etwas zu erlernen, scheint ihm kaum möglich. Er ist extrem ablenkbar und reagiert auf Spott der anderen Kinder oft tief gekränkt.

Aber er ist 'ganz wild' darauf, komplexe Tai Chi Formen zu lernen. Er übt, auf seine Weise, mit Feuereifer. Und ganz langsam wird er ausgeglichener. Bei der Konzentrations- und Gleichgewichtsübung 'Stehen wie ein Kranich' ist er eines Tages derjenige, der am längsten steht - ganz in Ruhe, ohne sich ablenken zu lassen.

Frustrierte Wutausbrüche werden seltener oder klingen schneller ab. Er sagt: 'Ich habe mich schon sehr entwickelt!'


Allen Eltern, Erziehern und Lehrerinnen, die mit Kindern leben und arbeiten, die Aufmerksamkeitsprobleme haben und bei denen die Diagnose ADS/ADHS im Raum steht, empfehle ich das Buch des Neurobiologen Gerald Hüther und des Psychiaters und Familientherapeuten Helmut Bonney: Neues vom Zappelphillip. ADS verstehen, vorbeugen und behandeln. BELTZ Verlag, 2. Auflage 2013

Auch Erwachsene können von Aufmerksamkeitsstörungen betroffen sein, die wahrscheinlich schon in der Kindheit gebahnt wurden (siehe G. Hüther). Wenn sie keine Hilfe erhalten, zieht dies nicht selten langfristig weitere Probleme nach sich, wie z.B. Depressionen. Ein erwachsener Schüler von mir schildert in einem Gespräch, wie er Taiji und Qigong dazu nutzt, sich selbst zu helfen:

· Das Jetzt ist wichtig Taijiquan & Qigong bei ADHS und Depression
Artikel im Taijiquan & Qigong Journal 3/2013